2018
Im Rahmen eines Hauptseminars zu den Beziehungen zwischen Zentrum und Peripherie, im Speziellen zwischen Wien und den Kronländern Galizien und Bukowina, machte sich Mitte Mai 2018 eine elfköpfige Gruppe unter der Leitung von Prof. Seiderer und mit tatkräftiger Planungsunterstützung (und Führung vor Ort) unserer Kommilitonen Gibfried und Klaus auf zu einer Exkursion in die Städte Lemberg (L’viv) und Cernowitz (Cernivci) in der heutigen Ukraine.
Die größte Aufregung und nervöse Anspannung gab es noch bevor die Reise überhaupt angetreten wurde. Denn ohne weitere Kommentare und lediglich mit Gabe der Telefonnummer einer Service-Hotline der Fluglinie wurde der Reisegruppe am Nürnberger Flughafen mitgeteilt, der Flug sei ersatzlos gestrichen, spätere Flüge mit der gleichen Verbindung gebe es nicht. Nach verschiedenen Telefonaten mit dem Reisebüro lautete die Planänderung schließlich so: Der erste Teil der Gruppe sollte noch am gleichen Abend über Brüssel und Warschau nach Lemberg gelangen, der zweite (größere) Teil könnte nur auf einen Flug am nächsten Tag von München umgebucht werden.
Die Vorhut erreichte Lemberg weit nach Mitternacht, konnte aber nach ein paar Stunden Schlaf immerhin das Programm am nächsten Tag absolvieren. Zunächst stand ein Besuch der Lemberger Universität auf dem Plan. Einen ersten Eindruck hinterließ die „Aula“ der Universität – der ehemalige Sitzungssaal des galizischen Landtages in der Donaumonarchie. Nach einer Führung durch das Universitätsmuseum hörten wir einen Vortrag zum Thema „Zentrum und Peripherie: Wien und Lemberg – Spuren gemeinsamer Geschichte“. Nach einer kurzen Mittagspause stand das Lemberger Archiv auf dem Plan, in dem bis heute unzählige unbearbeitete Akten aus der Habsburgerzeit auf ihre Erforschung warten und in dem wir eine Führung durch das Magazin bekamen. Anschließend besichtigten wir das Historische Museum und die „Königssäle“ und zum Schluss trafen wir im Lonsky-Gefängnis, dem Nationalen Gefängnis und der Gedenkstätte für die Opfer des Okkupations-Regimes, endlich auf den zweiten Teil der Exkursionsgruppe. Gemeinsam ließen wir mit Studierenden und Dozierenden der Universität den ersten gemeinsamen Abend beim Essen ausklingen.
Der zweite Tag der Exkursion begann bei bewölktem Wetter und angenehmen Temperaturen etwas entspannter mit einer Stadtführung durch Lemberg, bei der wir einiges über verschiedene Perioden der Lemberger Geschichte erfuhren. Dementsprechend war auch die Stimmung bei den mittlerweile etwas ausgeruhten Reisenden bestens.
Nach der Mittagspause hörten wir im Institut für Nationale Erinnerung einen Vortrag zu Lemberg unter polnischer, sowjetischer und nationalsozialistischer Herrschaft. Den restlichen Nachmittag verbrachten wir dann in einem Freilichtmuseum, dem Museum für Volksarchitektur und Landleben in Lemberg, bei dem wir in das ländliche Leben der vergangenen Jahrhunderte eintauchen konnten.
Der nächste Tag sah eine mehrstündige Busfahrt in das zweite ehemalige habsburgische Kronland vor, das wir auf der Exkursion besichtigen sollten – die Bukowina. In einem Kleinbus ging es für die Exkursionsgruppe über die Landstraße nach Czernowitz. Die Landschaft entschädigte die wenigen wach gebliebenen Reisenden dabei für die mitunter holprigen Straßenverhältnisse. Im Anschluss an die Ankunft im Hotel am Nachmittag machten wir uns (nach einem kräftigen Regenschauer) auf zu einem Stadtrundgang durch Czernowitz. Einen Höhepunkt stellte dabei die Besichtigung der ehemaligen Franz-Josephs-Universität dar. Auch das Rathaus lernten wir kennen, das Theater (das seinen Zwilling übrigens im hiesigen Fürther Stadttheater findet) und wir erhielten schon einen ersten Blick auf das jüdische Viertel in der sog. Unterstadt. Abends ließen wir den Tag beim Abendessen in einem Restaurant mit jüdischer Küche Revue passieren.
Der zweite Tag in Czernowitz begann mit einem Treffen mit Dozierenden und Studierenden an der Universität von Czernowitz. Wir hörten einen Vortrag zur Geschichte der Bukowina zwischen Ost und West und gerieten anschließend in ein interessantes und angeregtes Gespräch mit den ukrainischen Studierenden. Nach der Mittagspause besuchten wir das Museum für Volkskunde der Bukowina, bevor wir im jüdischen Museum einem beeindruckenden Vortrag über jüdisches Leben in der Bukowina im Laufe der Jahrhunderte lauschen konnten.
Am nächsten Morgen besichtigten wir das staatliche Archiv des Gebietes und im Anschluss hatte die Reisegruppe die Gelegenheit, den Vormittag für eigene Erkundungstouren durch die Stadt zu nutzen, dabei konnten wir unter anderem die Herrengasse bewundern und im Literaturcafé einen Kaffee mit Apfelstrudel genießen. Am Nachmittag begab sich die Gruppe dann noch auf einen Spaziergang in das jüdische Viertel der Stadt, die „Unterstadt“ und schloss den Tag mit einem Besuch auf dem jüdischen Friedhof ab.
Am folgenden Tag machten wir uns - nicht ohne Komplikationen, denn zunächst musste um die Lichtmaschine unseres Kleinbusses gebangt werden – auf den Weg zurück nach Lemberg. Den letzten offiziellen Programmpunkt bildete dort der Besuch des vermeintlich ältesten Friedhofs Europas (die aufmerksamen Erlanger Geschichtsstudierenden bemerkten natürlich gleich, dass es noch wesentlich ältere Grabstätten in Europa gibt...). Abends genossen wir noch ein letztes gemeinsames Abendessen in einem schlichten georgischen Restaurant im Herzen Lembergs.
Zum Abschluss konnten die Exkursionsteilnehmenden sich am Vormittag vor dem Rückflug nach Deutschland noch einmal selbst durch Lemberg bewegen, durch Straßen schlendern und das ein oder andere Erinnerungsstück für zuhause erwerben. Anders als der Beginn der Reise verlief die Rückreise nach Nürnberg nun reibungslos. Über Warschau ging es zurück nach Nürnberg und Erlangen.
Trotz der üblichen Erschöpfungssymptome, die die Teilnehmenden nach der Exkursion verspürten und der Komplikationen zu Beginn der Reise werden wir doch vor allem die tolle Atmosphäre in der Gruppe gerne in Erinnerung behalten, ebenso wie die beiden unbedingt sehenswerten Städte Lemberg und Czernowitz.